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Europäische Währungshüter bereiten Zinsschritt vor
03. September 2006
In Europa werden die Zinsen im Herbst wohl steigen. Im Oktober und womöglich noch einmal im Dezember dürften die europäischen Währungshüter die Liquiditätszufuhr für den Euro-Raum weiter drosseln. Damit dürften die Akteure an den Finanzmärkten nun rechnen.
Denn der geldpolitische Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) ließ zwar auf seiner Sitzung am vergangenen Donnerstag den Hauptrefinanzierungszins unverändert, doch die Botschaft, die Präsident Jean-Claude Trichet kurz darauf verkündete, läßt kaum Raum für Zweifel am geldpolitischen Kurs: Die EZB ist mit den mittelfristigen Aussichten für die Preisstabilität nicht zufrieden.
Sowohl für den Rest dieses Jahres als auch für das kommende Jahr prognostizieren die Volkswirte der Notenbank eine Inflationsrate von mehr als 2 Prozent. Das ist mehr, als von der EZB angestrebt, deren Ziel es ist, den Preisanstieg "auf weniger als, aber nahe an 2 Prozent" zu begrenzen.

Rückenwind zu einer lauen Brise abgeflaut

Trichet verwendete in seinen Äußerungen auch die Formulierung der "großen Wachsamkeit", mit der die EZB nun die Preisentwicklung verfolge - nach einhelliger Meinung der professionellen Notenbank-Beobachter ein untrügliches Signal für eine bevorstehende Zinserhöhung, die den Leitzins von 3 auf 3,25 Prozent tragen dürfte.

Die Börsianer wurden von der Aussicht auf höhere Geldmarktzinsen keineswegs überrascht. Nur teilweise äußerten sich einige Marktakteure ein wenig enttäuscht, da zuvor ein rückläufiges Geschäftsklima die Vermutung nahelegte, der Konjunkturaufschwung im Euro-Raum habe seinen Höhepunkt inzwischen erreicht, womöglich sogar überschritten.

Marco Krämer, Chefvolkswirt der HVB Group, hält darum zwei Zinsschritte im Oktober und Dezember für wahrscheinlich, gibt aber zu bedenken: "Der Rückenwind für die Zinserhöhungspolitik wird bis dahin zu einer lauen Brise abgeflaut sein." Die EZB werde im kommenden Jahr die Straffung der Geldpolitik aufgrund eines schwächeren Wachstums nicht fortsetzen.

Befürchtungen eines scharfen Knicks

Die Diskussion über Geldpolitik und Konjunkturaussichten bestimmt derzeit das Geschehen an den Finanzmärkten. Zum Ende der vergangenen Handelswoche zeigten sich die Börsianer erleichtert über die jüngsten Daten vom amerikanischen Arbeitsmarkt.

Dort werden zwar seit einigen Monaten weniger zusätzliche Stellen geschaffen als im Vorjahr, doch Befürchtungen eines scharfen Knicks, der das Vertrauen der Konsumenten untergraben und die Wirtschaft hinabziehen könnte, haben sich bisher nicht bestätigt.

Verzichtet die Fed wieder auf einen Zinsschritt?

Die amerikanischen Börsenbarometer, nicht zuletzt der Dow Jones, verabschiedeten sich mit einem Plus in das aufgrund des Labor Day am Montag verlängerte Wochenende. Auch an den europäischen und vielen asiatischen Aktienmärkten war die Stimmung freundlich.

Viele Marktbeobachter sind zuversichtlich, daß der geldpolitische Rat der amerikanischen Notenbank (Fed) auch auf seiner nächsten Sitzung am 20. September auf eine Anhebung des Leitzinses verzichten wird. Unverkennbar ist, daß sich die schwächere Konjunktur inzwischen auch in den Unternehmensgewinnen niederschlägt.

Das höchste Niveau seit 40 Jahren

Das amerikanische Wirtschaftsministerium korrigierte zwar seine Schätzung für das Wachstum im zweiten Quartal auf eine Jahresrate von 2,9 Prozent - die erste Zahl vor einigen Wochen lautete auf 2,5 Prozent -, doch legten die Unternehmensgewinne zwischen April und Juni nur noch um 3,2 Prozent zu.

Im außerordentlich starken ersten Quartal, in dem das Bruttoinlandsprodukt 5,6 Prozent gestiegen war, waren die Gewinne durchschnittlich um 12,6 Prozent geklettert. Trotz der geringeren Dynamik besteht freilich kein Grund zur Klage: Die Gewinne im zweiten Quartal lagen 20,5 Prozent höher als 2005 und entsprachen 12,2 Prozent des BIP. Dies ist das höchste Niveau seit 40 Jahren.

Viele Aktien noch attraktiv

Mit einiger Sorge nahmen Börsianer zur Kenntnis, daß die Löhne und Gehälter in Amerika im Frühsommer so schnell gestiegen sind wie seit dem Höhepunkt des langen Aufschwungs im Jahr 2000 nicht mehr. Das ist zwar erfreulich aus Sicht der Beschäftigten und tendenziell auch positiv für den privaten Konsum; doch angesichts eines schwächeren Produktivitätswachstums ist nun mit einem kräftigen Anstieg der Lohnstückkosten zu rechnen.

Das ist nicht nur schlecht hinsichtlich möglicher Inflationsgefahren. Höhere Kosten belasten auch unmittelbar die Unternehmensgewinne und damit die Stimmung an den Börsen. Eine Reihe von Anlagestrategen weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, daß viele Aktien derzeit noch recht attraktiv bewertet seien, insbesondere mit Blick auf den Anleihemarkt.

Zinsstrukturkurve flacher geworden

Dort sind die Preise für festverzinsliche Wertpapiere in den zurückliegenden Wochen, teils aus Sorge über eine tiefe Wachstumsdelle, teils mit Blick auf ein mögliches Ende der Zinsrunde in Amerika, spürbar gestiegen. Die Rendite der maßgeblichen amerikanischen Staatsanleihe mit zehn Jahren Laufzeit beträgt noch 4,73 Prozent - verglichen mit 5,25 Prozent Ende Juni.

Deutlich teurer geworden sind im übrigen seither auch deutsche Bundesanleihen. Die Rendite der Zehnjährigen sank von gut 4,10 Prozent Mitte Juli auf 3,78 Prozent. Damit ist auch die Zinsstrukturkurve im Euro-Raum flacher geworden, zumal die EZB den Leitzins Anfang August um einen Viertelprozentpunkt auf 3 Prozent angehoben hat.

Flucht in das als krisensicher geltende Edelmetall

Der Goldmarkt beschäftigt sich derzeit noch relativ wenig mit dem Konflikt zwischen dem Westen und Iran um die Anreicherung von waffenfähigem Uran, der Anleger zu einer Flucht in das als krisensicher geltende Edelmetall treiben könnte.

Durch die Übernahme der amerikanischen Glamis Gold Ltd. von der amerikanisch-kanadischen Goldcorp Inc. für 8,6 Milliarden Dollar entsteht eine der größten Minengesellschaften der Welt. Eine Feinunze Gold kostet rund 624 Dollar - doppelt soviel wie vor vier Jahren.
Text: F.A.Z., 04.09.2006, Nr. 205 / Seite 24


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